Mein Mutantenstadl, meine kleine Truppe aus sonderbaren Wesen.

 

Dezember 2021


Im Alltag ist keine Zeit um sich über all die Vorgänge zuviele Gedanken zu machen, um traurig zu sein, um zu begreifen. Wir funktionieren. Anruf, Hund aus Zwinger holen und sichern. Telefonieren, wo er unter kommen könnte. Stunden, unzählige Stunden Arbeit, um vielleicht einen Platz zu finden, oder eben nicht. 

Tierarztfahrten mit Hunden, die sich dort gebärden wie der Teufel persönlich, mit schreienden Bulli die Straße langlaufen, Blicke ernten. Leute wechseln die Straßenseite oder schauen verwundert zu. Wir tun es routiniert, sehen dabei nichts Besonderes mehr. Die Leine fest am Körper, der Mauli sitzt und durch. Man schafft es dabei noch mehr oder weniger lässig zu wirken. Auch wenn der Dobermann im Wartezimmer wie ein Ninja durch die Luft rudert, weil der Schäfi gegenüber ganz sicher Arschloch gesagt hat. Dann wieder im sicheren Auto, wo sich die Truppe an der Ampel anbrüllt, das der ganze Bus wackelt und der Fahrer neben mir nur mit dem Kopf schüttelt. Oder wie jüngst im McDrive beim Bestellvorgang meines veganen Burgers der Dobermann völlig ausflippte, so dass der gute Mann am Lautsprecher nur blöckte, "Ha, Ihr Hund mag diesen komischen Burger auch nicht". 

Wir fallen also öfter auf, nicht immer aber ab und zu. Juckt uns aber nicht. 

Jeden Tag Mails mit verzweifelten Worten wie Vertrauen in Scooby verloren, es geht nicht mehr, nicht mehr tragbar, alles versucht und so weiter und so fort. 

Selten wurde alles versucht. Und manchmal denkst du beim Lesen, " zieh mal ne Woche hier ein und laufe mit, dann wirst du mit deinem Hund mit anderen Augen sehen  "

Und dann sitzt du abends inmitten von in der Gesellschaft nicht mehr erwünschten Wesen. Der Bulldog, der Gegenstände abschluckt und stundenlang Wände ableckt, der Dobermann, der sich im Kreis dreht und dabei selber verletzt, der Pitbull, der andere verletzt, der Herdenschützer, der seine Menschen biss, anstatt sie zu beschützen, der Angsthund, der nicht gerettet werden wollte, der Rottweiler, der in allem Bewegten Beute sieht und all die anderen nicht mehr gewollten gefährlich gewordenen Wesen. 

Was wird deren Zukunft? Überall sitzen sie, jedes Tierheim hat mittlerweile "diese Hunde", manche mehr, manche weniger, einige haben fast nur noch derartige Insassen. Hunde, die wahrscheinlich nie wieder dort heraus kommen. Hunde, wo es ein tägliches Abwägen ist, was lebenswert, was verwahren ist. Hunde, deren Schicksal besiegelt ist, Menschen, die Entscheidungen treffen müssen und mit diesen auch leben müssen. 

Engagierte Menschen, die alles in Ihrer Macht stehende versuchen, diesen Tieren zu helfen und Menschen, die diese Tiere nicht in der Gesellschaft haben möchten. 

Und dann sitzen wir hier ganz still und genießen die Ruhe, der Bulldog schläft mit Kauwurzel im Maul, der drehenden Dobermann liegt in meinem Arm und grunzt, der Pitbull schaut zufrieden, thront auf seiner Wutdecke und irgendwie fühlt es sich für den Moment richtig an. Wir wissen nicht, was morgen ist, wieviele Hindernisse wieder kommen, wieviel Ärger und überhaupt, aber wir geben nicht auf. Jeden Tag aufs Neue, versuchen, die Hoffnungslosigkeit wegzuschieben, wohlwissend, dass da draußen noch mehr an unserer Front kämpfen. Für die Randgruppen der Gesellschaft, für die, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss. Denn sie sind da, weil wir Menschen es irgendwann einmal so wollten. 

Maria Weirauch