Solange ich hier sitze, geht keiner in die Spritze…
Februar 2022
Einst gegründet, um denen zu helfen, die wenig Stimmen haben, die Ungemütlichen, die nicht vermittelbaren. Mit dem Bestreben, sie wieder handelbar zu bekommen, vielleicht sogar in ein Zuhause zu vermitteln, zumindest aber ihnen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Das Ziel war schon immer, vorbehaltslos ankommen zu lassen, kennen zu lernen und das Individuum zu verstehen. Nicht verbiegen, nicht bemitleiden, nicht entschuldigen, was sie getan hatten. Ein sicherer Ort, wo sie sein konnten, wer sie sind mit der Option auf ein Leben, was die Gesellschaft akzeptieren kann. Und wenn nicht zumindest auf ein lebenswertes Leben im Rahmen des Möglichen.
Es gab bis heute keinen, den wir aufgrund auffälligen Verhaltens euthanasieren lassen mussten. Einer, der nah dran war, in stetiger Abwägung mit den zuständigen Tierärzten, der sich aber in den letzten Monaten so gefangen hat, dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine Option mehr ist. Und dann hören wir diese Geschichten von Hunden, die eingeschläfert wurden, weil sie länger als ein Jahr ohne Vermittlungsanfragen saßen, weil sie unverträglich oder eben auch aggressiv waren. Oder sie hatten eben eine Magendrehung und waren einfach weg. Weg von der Bildfläche. Ermordet im stillen Kämmerlein. Manchmal begründet mit dem so ausgeleierten Satz, dass es für diesen und jenen doch besser war. Das das doch kein Leben wäre. Weggesperrt, isoliert, abgestempelt.
Aber liegt es nicht an unseren Grenzen, an unserem Tun, was wir bereit sind, zu geben, damit es lebenswert sein kann? Ist es eine zulässige Begründung, den einen einzuschläfern, weil seine Chancen schlecht sind, um lieber einen „leichteren“ zu retten? Dürfen und sollten wir diese Entscheidungen treffen? Wir reden hier nicht von Hunden, die Menschen fast oder gar getötet haben. Es geht garnicht um diese schwerwiegenden, schlimmen Fällen. Es geht um all die anderen. Wir reden uns Euthanasien schön, um unser Gewissen zu bereinigen. Ist doch besser tot, als lebenslang isoliert im Betonzwinger ohne soziale Kontakte. Aber liegt nicht auch das an uns, diese Isolation zu brechen? Haben wir wirklich alle Mittel ausgeschöpft, um diesen Individuum alles in unser Macht stehende zu ermöglichen? Das müssen wir uns fragen, bevor wir diese Entscheidung, die irreversibel ist, treffen.
Tagtäglich diese Anrufe, wenn ihr den nicht nehmt, ist er nächste Woche tot. Längst sind es keine leeren Drohungen mehr und genug sind unter Ausschluss der Öffentlichkeit ins Jenseits befördert worden. Es ist anstrengend, die Geschichten zu ertragen, nicht müde zu werden, trotzdem eine Lösung zu finden. Eine Lösung für jeden Einzelnen, eine gute Lösung. Tagelange Telefonate im Netzwerk, Absagen, Hoffnungen, Abwägen, wen wir uns noch extern leisten können. Und wenn sich für den einen etwas auftut, kommt der nächste Fall. Und wieder geben wir alles, zuzuhören und an Lösungen zu feilen. Meist unter erschwerten Bedingungen, denn wie so oft soll es nichts kosten und gestern passieren.Der tägliche Betrieb muss aber auch laufen, der Bestand, der nicht nur verwahrt werden soll, der ja auch lebenswert untergebracht sein will. Der Spagat zwischen helfen und grübeln, wie lange es noch so gehen kann. Die Angst, dass bald alle Kapazitäten im Umkreis erschöpft sind und es für die Namenlosen ohne finanziellen Background keine Lösung mehr gibt.Und dann sterben sie still und heimlich. Wer gibt es schon zu? Wer schreibt es öffentlich, wenn es doch besser war für diesen Hund. Nahezu keiner. Das will keiner sehen, keiner möchte darüber sprechen. Dabei sollte es sichtbar gemacht werden. Nur weil wir ein Problem nicht sehen, heisst das nicht, dass es nicht vorhanden ist. Vielleicht wacht ein Teil der Gesellschaft auf, wenn die Tragweite sichtbar wird. Und vielleicht werden Konsequenzen daraus gezogen. Denn diesen Massen an Hunden, die keiner mehr will sind längst da, es ist nicht mehr zu stoppen.
Maria Weirauch